gif Policy Paper: Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen in zweifacher Hinsicht verfassungswidrig

Mit Spannung wurde in Berlin die Bekanntgabe der Besetzung der Expertenkommission erwartet, die für den Senat Vorschläge zum Umgang mit dem Volksentscheid zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Immobilienunternehmen erarbeiten soll. Ende März war es dann so weit, der Senat hat die Einberufung der Expertenkommission offiziell beschlossen und ihre Mitglieder bekanntgegeben:

  • Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin (Vorsitz) (Bundesministerin der Justiz a.D.)
  • Prof. Dr. Thorsten Beckers (Bauhaus-Universität Weimar)
  • Prof. Dr. Dr. Wolfgang Durner (Universität Bonn)
  • Prof. Dr. Michael Eichberger (Bundesverfassungsrichter a.D.)
  • Prof. Dr. Isabel Feichtner (Julius-Maximilians-Universität Würzburg)
  • Prof. Dr. Ann-Katrin Kaufhold (Ludwig-Maximilians-Universität München)
  • Prof. Dr. Christoph Möllers (Humboldt-Universität zu Berlin)
  • Aysel Osmanoglu (GLS Bank)
  • Prof. Dr. Florian Rödl (Freie Universität Berlin)
  • Prof. Dr. Christian Waldhoff (Humboldt-Universität zu Berlin)

Hinzu kommen drei Expertinnen und Experten, die von der Initiative „DW und Co. enteignen“ benannt werden.

Zur Begrüßung der frisch besetzten Runde hat die Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (gif) ein erstes Rechtsgutachten zu verfassungsrechtlichen Fragen vorgelegt. Das im März veröffentlichte Gutachten kommt zu der Einschätzung: Die geplante Sozialisierung in Berlin ist gleich in zweifacher Hinsicht verfassungswidrig.

Die Berliner Wählerinnen und Wähler hatten sich in einem Volksentscheid im September 2021 mehrheitlich für eine Vergesellschaftung privatwirtschaftlicher Wohnungsunternehmen, die über Bestände von mehr als 3.000 Wohnungen verfügen, ausgesprochen. Im Zuge der politischen und gesellschaftlichen Debatten ist dadurch vor allem Art. 15 des Grundgesetzes in den Fokus geraten, der die Überführung von u.a. Grund und Boden in Gemeineigentum betrifft.

Die Autoren der Studie, Prof. Dr. Jürgen Kühling von der Universität Regensburg und dessen wissenschaftlicher Mitarbeiter Moritz Litterst, stellten zunächst fest, dass keinerlei Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts zur praktischen Anwendung von Art. 15 GG existiert. Wie auch? Der sogenannte Sozialisierungsartikel wurde Zeit seiner mehr als 70-jährigen Existenz noch nie angewandt. Die geplante Vergesellschaftung sei damit politisches und juristisches Neuland.

Unbeeinflusst durch eine von Urteilen ausgehende Leitwirkung sei das Meinungsspektrum in der rechtswissenschaftlichen Literatur dementsprechend breit gefächert. Teilweise werde Art. 15 GG sehr weitreichend verstanden, wonach er letztlich jegliche Vergesellschaftung größerer Unternehmensbestände legitimiere, sofern dafür nur entschädigt werde. Am anderen Ende des Spektrums werde demgegenüber eine sehr enge Auslegung der Bestimmung befürwortet, nach der, ebenso wie bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Enteignung nach Art. 14 GG, das Sozialisierungsvorhaben einer strengen Verhältnismäßigkeitskontrolle einschließlich seiner – hier: wohnungspolitischen – Ziele standhalten müsse. Nach dieser Ansicht sei für eine Vergesellschaftung demnach derselbe Prüfungsmaßstab anzusetzen wie bei einer Enteignung, was Art. 15 GG im Ergebnis überflüssig mache.

Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass sich für eine weite Auslegung, wie sie die erstgenannte Meinung fordert, bereits in der Entstehungsgeschichte des Sozialisierungsartikels sowie im damaligen zeithistorischen Kontext keine hinreichend belastbaren Anhaltspunkte finden, die das weite Verständnis des Art. 15 GG untermauern würden. Konkret auf das jetzige Ziel der Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände bezogen, habe ein solches Anwendungsfeld des Art. 15 GG im Rahmen der politischen Diskussionen sogar keinerlei Rolle gespielt. Und das zu einer Zeit, in der im Nachkriegsdeutschland große Wohnungsnot herrschte.

Gleichwohl sei der Sozialisierungsartikel nicht überflüssig und könne, nach dem in der Studie herausgearbeiteten Ansatz, Anwendung finden, wenn es um die Bekämpfung wirtschaftlicher Machtkonglomerate gehe. Hier allerdings auch nur und im Sinne der üblichen Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts als ultima ratio nach einer entsprechenden – wenn auch leicht modifizierten – Verhältnismäßigkeitsprüfung. Denn zum Zwecke der Bekämpfung wirtschaftlicher Machtkonglomerate hätten sich in der Nachkriegszeit vorrangig andere Instrumente etabliert, wie beispielsweise das Kartellgesetz oder die Fusionskontrolle. Hinsichtlich der Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt müsse man zudem feststellen, dass es derartige Marktmachtprobleme, verursacht durch einzelne marktmächtige Immobilienunternehmen, nicht gebe. Der Markt sei vielmehr zersplittert, und im Übrigen würden auch die von den Initiatoren des Volksentscheids ins Visier genommenen Wohnungskonzerne nicht durch marktmachtüblich überhöhte Mieten auffallen. Darüber hinaus seien im Falle einer Vergesellschaftung verkehrswertgerechte Entschädigungen zu leisten. Für die von den Befürwortern der Sozialisierung geforderten deutlich reduzierten Entschädigungen fänden sich selbst in der umfangreichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Enteignungsfällen nur wenige Anhaltspunkte.

Im Ergebnis halten die Autoren fest: „Nach hier begründeter Auffassung sind die Voraussetzungen einer Sozialisierung im Fall des Berliner Vorhabens nicht gegeben. Sie würde die reduzierten Hürden einer modifizierten, eher weniger strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung, die Sozialisierungen im Fall der Bekämpfung konglomerater Unternehmensverbünde zulässt, reißen. Das Bundeskartellamt hat festgestellt, dass es keine problematische Macht dominanter Unternehmen auf dem Berliner Wohnungsmarkt gibt. Außerdem lassen sich signifikante Abschläge von der Entschädigung nicht rechtfertigen.“ Damit könne dem Berliner Vorhaben Verfassungswidrigkeit in gleich zweifacher Hinsicht attestiert werden.

Das gif Policy Paper ist bereits das zweite Gutachten, das substantiiert darlegt, dass die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen in Berlin in der vorgesehenen Weise nicht verfassungskonform umgesetzt werden kann. Zuvor kam bereits ein Gutachten der Kanzlei GreenbergTraurig im Auftrag des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) zu dem Schluss: Auch die Bestände von Genossenschaften sind vom Volksentscheid erfasst – ein Vergesellschaftungsgesetz mit einer Ausnahmeregelung für Genossenschaftsbestände wäre aber verfassungswidrig.

Hier gelangen Sie zum gif Policy Paper zur Sozialisierung von Wohnungsunternehmen

Hier gelangen Sie zum Gutachten der Kanzlei GreenbergTraurig im Auftrag des BBU

Hier gelangen Sie zur Pressemitteilung des Senats zur Besetzung der Expertenkommission